Ein internationales Konsortium von Schlaganfallexperten, unter ihnen Prof. Dr. med. Thorsten Steiner (im Bild), Chefarzt der Klinik für Neurologie am varisano Klinikum Frankfurt Höchst und Vorsitzender des Komitees zur Behandlung intrazerebraler Blutungen der Europäischen Schlaganfallorganisation (ESO), fordert strengere Standards für die Notfallbehandlung von Hirnblutungen.

„Code ICH“: Schlaganfallexperten fordern Einführung von strengen Zeitkorridoren für die Notfallbehandlung von Hirnblutungen

erschienen am 15.01.2024 | Klinikum Frankfurt Höchst

Eine intrazerebrale Blutung (ICH = Hirnblutung) gilt als schwerwiegender medizinischer Notfall. Denn die Hirnblutung entsteht durch den spontanen Riss einer kleinen Arterie im Gehirn und die Blutung wird mit der Zeit größer. Obwohl eine solche Hirnblutung nur für 15 bis 20  Prozent aller Schlaganfälle verantwortlich ist, ist sie mit einer Sterblichkeitsrate von etwa 30 Prozent die bei weitem tödlichste bzw. zu Behinderungen führende Form des Schlaganfalls. Ein internationales Konsortium von Schlaganfallexperten, unter ihnen Prof. Dr. med. Thorsten Steiner, Chefarzt der Klinik für Neurologie am varisano Klinikum Frankfurt Höchst und Vorsitzender des Komitees zur Behandlung intrazerebraler Blutungen der Europäischen Schlaganfallorganisation (ESO), fordert nun strengere Standards für die Notfallbehandlung. Ihre kürzlich in einem europäischen und einem nordamerikanischen Fachjournal veröffentlichten Aufrufe mit dem Titel "Code ICH: A Call to Action" gibt einen Überblick über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Wirksamkeit verschiedener Strategien zur Behandlung von Hirnblutungen unterstützen.

Während für die Behandlung des akuten ischämischen Schlaganfalls, der durch den Verschluss einer Arterie verursacht wird, weltweit ein hochgradig standardisierter und optimierter Arbeitsablauf eingeführt wurde, sind solche zeitbasierten Notfallprotokolle für die Hirnblutung nicht weit verbreitet.  Das internationale Konsortium von Ärzten drängt nun darauf, dies zu ändern.

„Bei der Behandlung des ischämischen Schlaganfalls geht es darum, den Blutfluss so schnell wie möglich mit gerinnungshemmenden Medikamenten oder Kathetern, die das Gerinnsel entfernen können, wiederherzustellen“, erklärt Prof. Dr. med. Steiner die aktuelle medizinische Leitlinie. Schlaganfallzentren verwenden hierfür standardisierte Protokolle. Sie müssen berichten, wie viele Patienten eine s.g. Reperfusionstherapie zur Wiederherstellung des Blutflusses (Perfusion)  erhalten, wie schnell sie verabreicht wird und wie oft sie erfolgreich ist. Bei Hirnblutungen hingegen werden solche Qualitätsmaßnahmen bisher nicht standardisiert angewendet.  Um diese Diskrepanz zu korrigieren, hat das internationale Gremium klinischer Forscher in den Fachzeitschriften „Stroke“ und „European Stroke Journal“ eine Konsenserklärung veröffentlicht, in der sie sich für sofortige Veränderungen aussprechen.

Dazu gehören - sofern indiziert - die Senkung des erhöhten Blutdrucks, die Normalisierung einer Therapie mit Blutverdünner, die Behandlung von Hirnschwellungen und die neurochirurgische Entfernung von Hirnblutungen.  Basierend auf den aktuellen Erkenntnissen plädieren sie für die sofortige und flächendeckende Einführung eines Behandlungspakets, medizinisch: "Care-Bundle", das das Senken des Blutdrucks und die Umkehr der Wirkung von Blutverdünnern innerhalb einer Stunde nach Ankunft im Krankenhaus beinhaltet.

"Neurologen zitieren in der Regel den Satz 'Zeit ist Gehirn', um die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, wie wichtig schnelles Handeln ist, wenn der Verdacht auf einen Schlaganfall besteht", so Dr. Stephan A. Mayer, Professor für Neurologie und Neurochirurgie am New York Medical College und Co-Senior-Autor der Studie.  "Tatsache ist, dass dieser Grundsatz ungleich angewandt wird.  Krankenhäuser sind verpflichtet, ischämische Schlaganfälle dringend zu behandeln und über ihre Leistung zu berichten, Sie sind aber nicht verpflichtet, dasselbe für die Behandlung intrazerebraler Hirnblutungen zu tun, auch wenn es sich hierbei um eine tödlichere Krankheit handelt. Dies muss sich ändern."

"Jede Hirnblutung ist ein Notfall und sollte auch als solcher behandelt werden", fügt Dr. Joshua N. Goldstein, Professor für Notfallmedizin an der Harvard Medical School und Co-Senior-Autor der Studie, hinzu: "Wir wissen, dass es in den ersten Stunden nach einer Hirnblutung zu aktiven Blutungen kommt, die bei bis zu 40 Prozent der Patienten anhaltende Schäden verursachen. Schlaganfallzentren behandeln zwar regelmäßig Bluthochdruck und kehren die Antikoagulation um. Aber es gibt derzeit keine Standards oder Anforderungen, um diese Behandlungen so schnell wie möglich durchzuführen."

"Es wurden Behandlungspakete untersucht, die die ultrafrühe Intervention bei Hirnblutungen beinhalten, die Behandlungszeiten drastisch verkürzen und das klinisch-funktionelle Ergebnis verbessern", ergänzt Prof. Dr. med. Thorsten Steiner und erklärt: "Evidenzbasierte Leitlinien von Berufsverbänden werden formuliert, um die bestmögliche Behandlung zu empfehlen. Aber ihre Entwicklung dauert häufig einige Zeit. Wir haben dieses Konsensus-Statement verfasst, weil unsere Patienten nicht so lange warten können. Bei Hirnblutungen geht es um Leben und Tod und es ist jetzt an der Zeit zu handeln."

Die Autorengruppe umfasst 18 Experten aus den USA, Australien, China, Deutschland, Kanada, Italien und Großbritannien.

Die vollständigen Konsensus-Statements finden Sie unter: 

•  Artikel im European Stroke Journal

•  Artikel in Stroke

Weitere Informationen zu den Bemühungen von „Code ICH“, den Behandlungsstandard für durch Hirnblutungen verursachte Schlaganfälle durch Forschung und Ausbildung zu verbessern, finden Interessierte unter Code-ICH.org